iranische Sprachen

iranische Sprachen
iranische Sprachen,
 
die in Iran und zum Teil in Nachbarländern gesprochenen indogermanischen Sprachen, die als Sprachgruppe mit den indoarischen Sprachen nächstverwandt sind. Vom Altiranischen sind nur zwei Sprachen gut belegt: das in zwei Entwicklungsstufen vorliegende (Gathisch-, Jung-)Avestische, die Sprache des Avesta, das wohl ursprünglich nördlich von Afghanistan heimisch war, und das Altpersische der südiranischen Provinz Pars (Persis), erhalten auf Inschriften der Achaimenidenkönige (6. bis 4. Jahrhundert v. Chr.) in einer dafür geschaffenen Keilschrift. Als Amtssprache aber wurde im Achaimenidenreich die aramäische Sprache verwendet. Von anderen schriftlosen altiranischen Sprachen wie Medisch und Skythisch (Sarmatisch) sind nur einzelne Wörter und Namen indirekt durch Nachbarsprachen belegt.
 
Das Mitteliranische ist durch Lautänderungen und den fortschreitenden Verfall der grammatischen Endungen gekennzeichnet und aus sechs Hauptsprachen bekannt. Vier von ihnen verwendeten verschiedene, aus der ehemaligen amtlichen aramäischen Schrift entwickelte Alphabete (u. a. Pehlewischrift): vom Westmitteliranischen Mittelpersisch (Pehlewi) aus Pars, die amtliche Sprache der Sassaniden, erhalten in Inschriften, Münzlegenden, Papyri und Handschriften manichäischer und zoroastrischer (Pehlewi-)Literatur (3.-9. Jahrhundert) und Parthisch aus Nordostiran, erhalten auf Ostraka, sassanidischen Inschriften und manichäischen Handschriften (1. Jahrhundert v. Chr.-9. Jahrhundert n. Chr.); vom Ostmitteliranischen aus Zentralasien Sog(h)disch, aus Inschriften, Münzen, Dokumenten und Handschriften manichäischer, christlicher und buddhistischer Literatur (3.-9. Jahrhundert), und Charismisch (Chorismisch, Chwaresmisch), vorislamisch von Ossarieninschriften bekannt; Letzteres wurde nach der Islamisierung bis ins 14. Jahrhundert in arabischer Schrift geschrieben. Sakisch ist aus Dokumenten und buddhistischer Literatur (7.-10. Jahrhundert) aus Hotan in West-Sinkiang (Hotanesisch, Hotan-Sakisch) und in einem archaischeren Dialekt aus dem nördlicheren Tumschuk bekannt. Beide Formen verwenden eine Abart der indischen Brahmischrift. Baktrisch, die Sprache von Baktrien in Nordafghanistan unter den Kushanaherrschern und ihren Nachfolgern, ist in wenigen Inschriften und Dokumenten in weiterentwickelten Formen des griechischen Alphabets belegt.
 
Vom Neuiranischen sind aus älterer Zeit nur das Neupersische (Farsi) mit einer reichen und vielfältigen Literatur (seit dem 9. Jahrhundert), das Kurdische und das ostiranische Paschto (beide seit dem 17. Jahrhundert) überliefert, in einer erweiterten arabischen Schrift. Neupersisch wird in ganz Iran und, in einer archaischen Aussprache, in Afghanistan (wo es heute Dari genannt wird) und vereinzelt in Pakistan gesprochen. Als Tadschikisch wird ein in Tadschikistan gesprochener, in der Grammatik vom Türkischen geprägter Dialekt bezeichnet, der sich seit der Oktoberrevolution von 1917 zu einer in erweiterter kyrillischer Schrift geschriebenen Literatursprache entwickelt hat. Innerhalb Irans und Afghanistans werden verschiedene Mundarten des Neupersischen gesprochen, aber auch eine große Zahl von meist ungeschriebenen nichtpersischen Dialekten von mannigfaltiger Struktur. Dem Persischen am nächsten stehen die südlichen Fars-Dialekte (der Provinz Fars), die der Luren (Luri, Bachtiyari) im Westen und das Tatische (in Aserbaidschan und Dagestan). Daneben bestehen eine Gruppe kleinerer zentraliranischer Dialekte und verschiedener nordwestlicher und kaspischer Mundarten, darunter Talyschi, Semnani, Gilaki, Mazandarani, Gurani und (in Ostanatolien) Zaza. Eine ursprünglich nordwestliche Sprache, die im Mittelalter durch Emigration ihrer Sprecher nach Südostiran und Pakistan gelangte, ist das Belutschi (in zwei Hauptdialekten). Zu der nordostiranischen Gruppe gehören außer Paschto (mit seinen Hauptgruppen Paschto und Pachto) folgende Sprachen: die in den Bergtälern isolierten Pamirdialekte, die dem Sakischen nahe stehen, u. a. das Wachi (im afghanischen Wachan), Ischkaschmi, Mundschi und (im Pamirgebiet) die Schughnigruppe sowie Yazgulami; in einem Seitental des Serawschan in Tadschikistan ein sprachliches Relikt des Sogdischen, das Yaghnobi; weit von anderen iranischen Sprachen getrennt im zentralen Kaukasus wird das in mehreren Dialekten (Iron, Digoron, Tualisch) erhaltene Ossetisch gesprochen. Südostiranische Reliktsprachen sind das Paratschi und Ormuri in Dörfern jeweils nördlich und südlich von Kabul, Letzteres auch im pakistanischen Süd-Waziristan (North West Frontier Province).
 
 
Hb. der Orientalistik, hg. v. B. Spuler, Abt. 1, Bd. 4, 1: Iranistik, Linguistik, bearb. v. K. Hoffmann u. a. (Leiden 1958; Nachdr. ebd. 1967);
 I. M. Oranskij: Les langues iraniennes (Paris 1977);
 
Compendium linguarum Iranicarum, hg. v. Rüdiger Schmitt (1989).

Universal-Lexikon. 2012.

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